Leserbrief mit Bezug auf: „Mobile Medienarbeit steht vor dem Aus“, LZ vom 03.05.12
Das Aus der Mobilen Medienarbeit reiht sich ein in das existenzielle Sterben der außerschulischen Jugend(verbands)arbeit in Niedersachsen. Die Schlagzeilen der letzten Monate, nur aus Lüneburg: Feuerwehr Ochtmissen vor dem Aus, Jubi Neetze vor dem Aus, MTV und VfL leiden an extremem Mitgliederschwund, sowie an der Inkompatibilität des Systems Schule– und nun eben auch noch die Mobile Medienarbeit des Jugendverbands SJD-Die Falken.
Jugend wird vor allem als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Formale Bildung soll sie möglichst pfeilförmig anspitzen, damit sie nahtlos verwertbar wird. Jugend scheint offenbar nicht mehr als selbstverständlich zu begleitende Phase, sondern wenn überhaupt als Störfaktor wahrgenommen.
Und Bildung? Der Begriff wird fast ausschließlich mit dem System Schule identifiziert. Die Bildungsforschung legt da eindeutige Zahlen vor: rund 70% des Gelernten wird gerade NICHT durch formale Bildung gewonnen (1), sondern durch informelle und durch Gelegenheitsstrukturen erzeugte Bildungsprozesse, wie sie seit je her, selbstverständlich und leider weit unterschätzt in Vereinen und Jugendverbänden gelebt wird.
Aber das ist ja zu wenig messbar und nur durch aufwändige Studien belegbar. Da ist es schon einfacher mit der schulischen Exessiv-Testerei nach PISA und IGLU.
Bei der niedersächsischen Schulpolitik handelt es sich deswegen eben auch nicht um Bildungspolitik, weil sie die essentiellen Bildungsbereiche an die Wand fährt. Vereine und Jugendverbände werden Stück für Stück ausgetrocknet, durch die Streichung von Ressourcen aber eben auch durch eine völlig verfehlte Schulpulitik, die es versäumt dieses System zu öffnen und für den äußerst starken Bereich der informellen Bildung kompatibel zu werden.
Immer mehr Jugendverbände ziehen sich aus dem System Schule, dem Nachmittagsbereich wieder zurück. Die mäßige Euphorie wenigstens im Nachmittagsbereich der Schulen noch die Kinder und Jugendlichen anzutreffen und mit ihnen so etwas ähnliches, wie verbandliche Jugendarbeit leben zu können, ist der Frustration gewichen, eben keine Rahmenbedingungen anzutreffen, wo die Seele der Jugendarbeit aufscheinen kann. Ein wichtiges Element der verbandlichen Jugendarbeit ist die Selbstbestimmung, die eingeübt und ausprobiert werden kann – die geht aber nur freiwillig und nicht in akademischen Lernsettings.
Und so darf man sich nicht wundern, wenn das ehrenamtliche Engagement zwar insgesamt steigt, aber bei Jugendlichen stark gesunken ist. Wann soll sich das denn auch entfalten, wenn die Schule sich wie ein Hefeteig über den ganzen Tag ausdehnt? Und mal von der Maulerei der Wirtschaft ganz zu schweigen… Von wegen „soft skills“ und „Kopfnoten“… Wo sollen die herkommen, wenn nicht im sozialen und freiwilligen Zusammenschluss von Kindern und Jugendlichen. Und bitte keine Beschwerden darüber, dass immer mehr Kinder ihre bescheidenen Freizeithäppchen vor dem Rechner verbringen! Womit wir wieder bei Medienkompetenz wären. Aber die braucht ja Zeit und Geld…
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(1) Faure-Kommission der UNESCO: 70% der Lernprozesse eines Menschen sind informell!
Dieser Leserbrief ist (gekürzt) erschienen in der Landeszeitung vom 12./13. Mai 2012
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